Dr. Gößmann im Interview mit dem Energate Messenger

Das folgende Interview erschien erstmals am 27.11.2024 im Energate Messenger.

Das Wasserstoff-Kernnetz ist beschlossen. Der Dortmunder Fernleitungsnetzbetreiber Thyssengas hat mit der Umsetzung der wichtigsten Vorhaben begonnen. Über den Aufbau des Kernnetzes und den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft sprach energate mit Thomas Gößmann, Vorsitzender der Thyssengas-Geschäftsführung.

energate: Herr Gößmann, nach der Genehmigung durch die Bundesnetzagentur geht Thyssengas beim Wasserstoff-Kernnetz jetzt in die konkrete Umsetzung. Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?

Gößmann: Wir wollen einer der führenden Netzbetreiber für den Transport von Wasserstoff und anderen grünen Gasen werden. Die Genehmigung des Wasserstoff-Kernnetzes ist daher ein bedeutender Meilenstein - für die Branche und unser Unternehmen. Darauf haben wir rund 18 Monate intensiv hingearbeitet. Im Sinne eines schrittweisen Aufbaus starten unsere zeitkritischsten H2-Projekte jetzt in die Realisierung, das heißt in die notwendigen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Für unsere Vorhaben, deren Inbetriebnahme weiter in der Zukunft liegt und deren Umsetzungspfad noch konkretisiert werden muss, sind wir weiterhin Ansprechpartner für Markt, Politik und Öffentlichkeit. Unser Ziel ist es, diese Projekte gemeinsam mit den potenziellen H2-Kunden marktreif zu machen und im Rahmen des Integrierten Netzentwicklungsplans (NEP) für Gas und Wasserstoff die finale Bestätigung durch die Bundesnetzagentur zu erhalten.

energate: Was bedeutet das Kernnetz für Nordrhein-Westfalen? Das Land hat ja zum Beispiel auch ein eigenes Importkonzept vorgestellt, was dafür spricht, dass die Landesregierung Wasserstoff eine hohe Bedeutung beimisst.

Gößmann: NRW ist eine der wirtschaftlich stärksten Regionen Europas, entsprechend spielt hier die Musik beim Wasserstoff. Damit NRW bis 2045 klimaneutral werden kann, führt kein Weg an dem grünen Energieträger vorbei. Vor allem für energieintensive Industrien, die nicht vollständig auf Strom umstellen können, ist Wasserstoff unverzichtbar. Wir stehen also vor der Frage: Dekarbonisierung oder Deindustrialisierung? Das Kernnetz bildet die Grundlage für die grüne Transformation unserer Wirtschaft. Glücklicherweise zieht die Landesregierung mit uns an einem Strang. Sie treibt den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur entschlossen voran und setzt auf eine integrierte Planung von Strom- und Gasnetzen. Das ist nicht nur zukunftsweisend, sondern für mich der Schlüssel, um NRW fit für die Energie- und Wirtschaftswelt von morgen zu machen.

energate: Mit dem Kernnetz gehen die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) in Vorleistung, was muss für den Hochlauf eines liquiden Wasserstoffmarktes jetzt getan werden?

Gößmann: Dafür sind aus meiner Sicht drei Bausteine elementar: Erstens benötigen wir FNB beim Aufbau des Kernnetzes weiterhin politischen Rückenwind, um die ambitionierten Zeitpläne einhalten zu können. Die seitens der Politik avisierte Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren ist fest eingeplant.

Zweitens braucht es einen Business-Case für Wasserstoff. Hier sind gezielte Maßnahmen notwendig - dazu gehören Instrumente wie die Einführung einer Quote für grüne Gase, die Förderung neuer Gas- und Wasserstoff-Kraftwerke sowie durchdachte Importkonzepte. Außerdem plädiere ich für einen pragmatischen Umgang mit blauem Wasserstoff. Dieser kann eine wichtige Brücke sein, bis ausreichende Mengen grünen Wasserstoffs verfügbar sind.

Drittens hängt der Erfolg weiterhin davon ab, dass Politik, Behörden, Wirtschaft und FNB eng zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen. Denn der H2-Hochlauf ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

energate: Die Stahlindustrie und die Chemiebranche sind wichtige "Ankerkunden" im Kernnetz. Doch die Industrie kriselt an vielen Stellen. Was bedeutet es, wenn wichtige Abnehmer abspringen, wie es zum Beispiel Thyssenkrupp überlegt. Wie können Sie auf solche Entwicklungen reagieren?

Gößmann: Ankerkunden aus der Stahl- und Chemiebranche sind essenziell für den H2-Hochlauf. Aber: Wir bauen das Kernnetz nicht allein für diese Unternehmen. Unser Ziel ist es, eine breite Basis an Netznutzern zu gewinnen, um den Wasserstoffmarkt erfolgreich hochzufahren. Daher arbeiten wir aktuell daran, bestehende Partnerschaften zu konkretisieren und Verbindlichkeit zu schaffen. Darüber hinaus möchten wir den Wasserstoff auch in die Fläche bringen. Mit durchdachten Konzepten für Anschluss und Weiterverteilung treiben wir die Markterschließung voran. Fakt ist: Wir gestalten als FNB den Hochlauf aktiv mit. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Schlüsselbranchen wie die Stahlindustrie verlässliche Förderinstrumente erhalten, um ihre komplexe grüne Transformation zu bewältigen - hier ist die Politik gefordert.

energate: Sie haben wiederholt die Investitionsbedingungen der Netzbetreiber als nicht kapitalmarktfähig kritisiert. Wie könnte eine Verbesserung aussehen?

Gößmann: Um die dringend benötigten Investitionen - nicht nur in die Wasserstoff-Infrastruktur - zu ermöglichen, braucht es ein ausgewogenes Chancen-Risiko-Verhältnis. Aus FNB-Sicht sind dabei zwei Stellschrauben besonders wichtig: der Selbstbehalt im Amortisationskonto und die Eigenkapitalrendite. Aktuell bestehen hier klare Benachteiligungen gegenüber dem Strombereich. Hier appelliere ich weiter an die Politik, wettbewerbsfähige Investitionsbedingungen auch für Gasnetze zu schaffen.

energate: Für Investitionen braucht es auch Rechtssicherheit. Wie ist die Wasserstoff-Regulierung aufgestellt und was wären Ihre Empfehlungen?

Gößmann: Die künftigen Nutzer des H2-Kernnetzes brauchen schnellstmöglich Klarheit über die Zugangs- und Nutzungsbedingungen. Diese müssen zügig in ein stabiles regulatorisches Rahmenwerk überführt werden. Dabei gilt es, bewährte Mechanismen aus dem Erdgasmarkt - wie das Entry-Exit-System und standardisierte Transportverträge - auf den Wasserstoff-Sektor zu übertragen. Eine erprobte und gut funktionierende Regulierung gibt Sicherheit und fördert Vertrauen in den Markt. Darüber hinaus ist entscheidend, dass bereits angestoßene Gesetzgebungsverfahren nach dem Regierungswechsel konsequent fortgeführt werden. Die BNetzA hat mit der Einleitung der Festlegungsverfahren zu WasABi und WaKandA die ersten Schritte eingeleitet, die wir als Branche aktiv begleiten.

energate: Die FNB haben das Kernnetz mit einer hohen Importkapazität geplant. Wie bewerten Sie, dass Vorhaben in Norwegen und Dänemark abgesagt oder verschoben wurden? Welche Bedeutung hat in dem Zusammenhang blauer Wasserstoff?

Gößmann: H2-Importe sind für die Marktliquidität unverzichtbar. Die Absage von Projekten wie dem von Equinor verdeutlicht die enormen finanziellen Herausforderungen, die selbst für multinationale Konzerne mit dem Aufbau eines völlig neuen Energiemarkts verbunden sind. Genau darauf haben wir FNB bereits bei den Verhandlungen zum Wasserstoff-Kernnetz hingewiesen: Der Erfolg des H2-Hochlaufs hängt maßgeblich von den richtigen politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen ab. Blauer Wasserstoff bleibt in diesem Kontext eine wesentliche Brücke. Er kann kurzfristig Versorgungslücken schließen und den Markthochlauf unterstützen, bis ausreichende Mengen grünen Wasserstoffs verfügbar sind. Die angepassten Importpläne aus Norwegen und Dänemark werden wir im Rahmen des NEP 2025 evaluieren und um Alternativen - etwa über Seerouten - ergänzen.

energate: Im Bund stehen wir vor Neuwahlen. Was erhoffen Sie sich von einer neuen Bundesregierung?

Gößmann: Wasserstoff ist Grundlage für die grüne Transformation unserer Wirtschaft und das Erreichen der Klimaziele. Diese Überzeugung wird parteiübergreifend von der demokratischen Mitte geteilt. Es ist nun entscheidend, energiepolitischen Stillstand zu vermeiden und schnell handlungsfähige Mehrheiten im Bundestag zu bekommen. Ich hoffe, dass eine neue Regierung den eingeschlagenen Kurs in den Bereichen Wasserstoff und Energiewende fortführt. Und gerne darf es noch etwas mehr Pragmatismus, Mut und Tempo sein. Die Bestätigung des H2-Kernnetzes hat zur Planungssicherheit beigetragen. Aber wir brauchen zusätzlich klare Instrumente zur Förderung des Markthochlaufs, wie eine Quote für grüne Gase, Investitionsförderung für Wasserstoff-Kraftwerke und durchdachte Importkonzepte. Nur so können wir die Zukunftsfähigkeit des Wirtschafts- und Innovationsstandorts Deutschland sichern.

energate: Herr Gößmann, herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. Gößmann im Interview mit dem Energate Messenger
Dr. Thomas Gößmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Thyssengas GmbH

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