Die Ampel für Wasserstoff auf grün stellen

Ein Beitrag von Dr. Thomas Gößmann zu den nun zu stellenden politischen Weichen zum Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur auf Basis bestehender Erdgasnetze.

Die neue Bundesregierung steht. Die Ampel-Koalitionäre haben sich nahezu geräuschlos auf ihre Agenda für die kommenden vier Jahre geeinigt, in diesen Tagen beginnt die Regierungsarbeit. Um die Themen Klimaschutz und Energie wurde erwartungsgemäß hart gerungen. Die Herausforderungen sind riesig, der Koalitionsvertrag verspricht viel.

Der Wille zu einem energiepolitischen Aufbruch ist unverkennbar. Die Ampel will auch mit Blick auf die künftige Energieversorgung „Fortschritt wagen“ und die Dekarbonisierung vorantreiben. Neben einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien basiert dieser Fortschritt ganz wesentlich auf einem Energieträger: Wasserstoff. H2 soll laut Koalitionsvertrag eine zentrale Rolle spielen, der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und Europa gezielt gefördert werden. Im Koalitionsvertrag werden dazu folgende Ziele definiert:

  • Schaffung der notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen sowie effiziente Förderprogramme
  • Engagierter Aufbau der benötigten Import- und Transportinfrastruktur
  • Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für eine schnellere Realisierung von Wasserstoffnetzen
  • Errichtung von rund 10 Gigawatt an Elektrolysekapazität bis zum Jahr 2030

In meiner Rolle als Geschäftsführer von Thyssengas und Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands FNB Gas e.V. begrüße ich diese ambitionierte Zielsetzung ausdrücklich!

Damit der Markthochlauf für Wasserstoff schnell und volkswirtschaftlich effizient gelingt, sollten wir auf dem aufbauen, was bereits vorhanden ist: 40.000 Kilometer Fernleitungsnetz sowie dem jahrzehntelangen Know-how der Branche bei Bau und Betrieb von unterirdisch verlegten Gasleitungen.

Erdgas als Brücke, Wasserstoff als Zukunft

Schon heute bildet dieses Fernleitungsnetz das Rückgrat der deutschen Gasversorgung mit Erdgas – ein Energieträger, der in Anbetracht der laufenden Kernenergie und des geplanten Kohleausstiegs für den Übergang unverzichtbar sein wird. Auch diesbezüglich spricht der Koalitionsvertrag eine deutliche Sprache. Neue H2-fähige Gaskraftwerke sollen gebaut werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Der doppelte „Fuel Switch“, zunächst von Kernenergie und Kohle auf Erdgas und künftig von Erdgas auf Wasserstoff, ist nicht zu unterschätzen. Er bedeutet eine gewaltige Kraftanstrengung für Energiewirtschaft und Industrie. In meinem Beitrag vom 25. August hier auf LinkedIn habe ich mich mit dieser Herausforderung bereits ausführlich auseinandergesetzt.


Die Fernleitungsnetzbetreiber sind H2-ready

Deutschland braucht eine leistungsfähige und überregionale Wasserstoffinfrastruktur. Die bestehenden Gasnetze bieten für den künftigen Wasserstofftransport die besten Voraussetzungen. Die Fernleitungsnetzbetreiber sind in den vergangenen Jahren in Vorleistung gegangen. Einerseits wurde untersucht, inwiefern Leitungen, die heute Erdgas transportieren auf Wasserstoff umgestellt werden können, also H2-ready sind. Andererseits wurden zahlreiche Projekte und Kooperationen mit der Industrie angeschoben, um zeitnah regionale Wasserstoff-Cluster zu entwickeln und das Zusammenspiel von Erzeugung, Transport und Verbrauchern regional zu erproben.

Ein konkretes Beispiel ist die Initiative Get H2, an der Thyssengas beteiligt ist und in einem Konsortium eine grenzüberschreitende Infrastruktur für Wasserstoff aufbauen will – angefangen bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff über den Transport bis hin zur industriellen Nutzung. Von Lingen (Emsland) bis nach Gelsenkirchen und von der niederländischen Grenze bis nach Salzgitter sollen Erzeugung, Transport, Speicherung und industrielle Abnahme von grünem Wasserstoff in mehreren Schritten zwischen 2024 und 2030 unter dem Dach des Gesamtprojekts verbunden werden. Dafür haben wir gemeinsam mit unseren Partnern bp, Evonik, Nowega, OGE, RWE und Salzgitter Flachstahl eine Interessensbekundung für eine Förderung im Rahmen des IPCEI-Programms (Important Project of Common European Interest) eingereicht. Eine Entscheidung der EU-Kommission erwarten wir für Anfang des kommenden Jahres.

Thyssengas wird in diesem Rahmen bis 2025 den ersten Grenzübergangspunkt für Wasserstoff zwischen Deutschland und den Niederlanden in Vlieghuis errichten. Damit sorgen wir für eine Anbindung an die Region Eemshaven, den Rotterdamer Hafen sowie das Netz der Gasunie Niederlande. Außerdem bauen wir gemeinsam mit OGE eine neue Leitung von Dorsten nach Duisburg-Hamborn, um in Zukunft das dortige Stahlwerk von Thyssenkrupp, aber auch andere Interessenten aus dem Industriebereich mit grünem Wasserstoff versorgen zu können.

Auch an der niedersächsischen Nordseeküste konkretisieren sich die Pläne für den Aufbau eines Wasserstoff-Clusters bis 2026. Im November haben sich die Unternehmen EWE, Gasunie Deutschland, TenneT und Thyssengas zusammengetan, um zu verbinden, was zusammengehört: Wasserstofferzeugung, Strominfrastruktur, großtechnische Wasserstoffspeicherung in Salzkavernen sowie der Transport über künftige Wasserstoffpipelines auf Basis bestehender Infrastrukturen. Zu diesem Zweck wurden die Projekte Clean Hydrogen Coastline und ELEMENTEINS durch eine Kooperationsvereinbarung zusammengeführt.

Wasserstoff-Transportbedarf ist real

Wasserstoff war 2021 ein Hype-Thema, keine Frage. Aber wie groß ist der Transportbedarf tatsächlich? Aus den Meldungen zur Marktabfrage „Wasserstoff Erzeugung und Bedarf (WEB)“ geht der konkrete Kapazitätsbedarf für den Transport von Wasserstoff bis zum Jahr 2032 im Markt hervor. Bis Anfang Oktober haben die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber Absichtserklärungen (MoU) mit Vorhabenträgern von mehr als 250 Projekten vereinbart. Der Wasserstoff-Bedarf dieser Projekte beläuft sich auf insgesamt rund 164 Terawattstunden. Ein beachtliches Ergebnis, wie ich finde!

Die Unterzeichnung eines MoU ist Voraussetzung dafür, dass die Projekte als Eingangsgröße im Netzentwicklungsplan Gas 2022-2032 Berücksichtigung finden. Thyssengas konnte 41 konkrete Projekte mit bestehenden und neuen Kunden unterzeichnen. Die Vereinbarungen zeigen: Der Transportbedarf an Wasserstoff in den kommenden Jahren ist real.


H2-Netz 2030 und 2050: So könnte es gehen

Der Wasserstoff-Markthochlauf wird nur gelingen, wenn Strom und Gas intelligent zusammenspielen und wir die großen Verbrauchs-Sektoren Wärme, Mobilität, Stromerzeugung und Industrie als Gesamtsystem begreifen und miteinander koppeln. Dieser Prozess erfolgt sukzessive in mehreren Schritten. Mit den Wasserstoffnetzkarten 2030 und 2050 haben die Fernleitungsnetzbetreiber hierzu jüngst eine konkrete Roadmap vorgelegt.

Für das H2-Netz 2030 gehen wir davon aus, dass sich der leitungsgebundene Transport von Wasserstoff zunächst maßgeblich aus den Bedarfen der Industrie in den Sektoren Stahl, Chemie sowie Raffinerien ergibt. Ausgehend von dieser Prognose ist das H2-Netz 2030 etwa 5.100 Kilometer lang, davon basieren rund 3.700 Kilometer auf umgestellten Gasleitungen.

Um klimaneutral zu werden, reicht diese Netzkapazität jedoch noch nicht aus. Daher wurden beim H2-Netz 2050 die notwendigen Transportbedarfe von Wasserstoff mit der Zielsetzung Klimaneutralität berücksichtigt. Hierfür wurde insbesondere ein stärkerer Einsatz von Wasserstoff in der Industrie (v.a. Stahl und Chemie), ein leicht erhöhter Einsatz von Wasserstoff im Verkehrsbereich und ein moderater Einsatz von Wasserstoff in Kraftwerken – insbesondere in der Kraft-Wärmekopplung – sowie im Wärmebereich unterstellt.

Auf der Verteilnetzebene wurde eine Beimischung von Wasserstoff und langfristig auch die Umstellung ganzer Netzbereiche auf eine Versorgung mit reinem Wasserstoff angenommen. Das H2-Netz 2050 ist etwa 13.300 Kilometer lang, 11.000 Kilometer davon ehemalige Gasleitungen.

Die Kostenabschätzung für die Wasserstoffinfrastruktur zeigt, dass sich ein leistungsfähiges Wasserstofftransportnetz auf Basis bestehender Gasleitungen vergleichsweise kostengünstig realisieren lässt. Die Investitionskosten belaufen sich bis zum Jahr 2030 auf rund sechs Milliarden Euro, bis zum Jahr 2050 auf etwa achtzehn Milliarden Euro.

Zum Vergleich: Der Bau einer einzigen Hochspannungsleitung für Ökostrom ist in etwa doppelt so teuer wie das H2-Netz 2030.


Mein Wunsch für 2022? Die Ampel für Wasserstoff auf grün stellen!

Worauf kommt es jetzt also an, um auf Grundlage des bestehenden Fernleitungsnetzes künftige Wasserstofferzeuger und Verbraucher zu verbinden? Aus meiner Sicht müssen wir jetzt Geschwindigkeit aufnehmen. Der Schlüssel dafür liegt – wie so oft – in einer verlässlichen Rahmensetzung für die beteiligten Akteure. Hier sollte die neue Bundesregierung ansetzen und im kommenden Jahr die Bedingungen dafür schaffen, dass der Aufbau der benötigten Wasserstoffinfrastruktur beginnen kann.

Da sich das Wasserstoffnetz aus dem bestehenden Gasnetz entwickeln wird, wäre es nur konsequent und sachdienlich, eine gemeinsame Regulierung und Finanzierung der Gas- und Wasserstoffinfrastruktur einzuführen. Diese Entscheidung wäre das dringend benötigte Signal, dass die Gasnetzbetreiber mit dem Aufbau eines Wasserstoffnetzes in Deutschland beauftragt sind. Dafür gilt es jetzt die Weichen zu stellen – national wie auch auf EU-Ebene.

Dass dieses Signal der neuen Bundesregierung dringend notwendig ist, zeigt der jüngst vorgelegte Vorschlag der EU-Kommission zur Revision des Binnenmarktpakets Gas im Rahmen des Gesetzespakets „Fit for 55“. Die Fernleitungsnetzbetreiber sehen hier insbesondere die Ausführungen zur eigentumsrechtlichen Entflechtung zwischen Gas- und Wasserstoffnetzen mit großer Sorge. Danach dürften Netzbetreiber nach einer Übergangsfrist keine Wasserstoffnetze betreiben und besitzen, wenn ihre Anteilseigner in Wasserstoff-, Elektrizität- oder Erdgasproduktion/-vertrieb aktiv sind. Die vorgesehenen Regelungen sind ein klarer Negativanreiz. Sie hätten nach meiner Einschätzung zur Folge, dass Investitionen in die Umstellung bestehender Erdgasnetze ausbleiben. Dies wäre ein herber Rückschlag für den Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland – und damit auch für die EU-Klimaziele. Zu diesen und weiteren Fragen werden wir im neuen Jahr das Gespräch in Berlin und Brüssel suchen.

Das Erreichen der Klimaziele ist eine Herkulesaufgabe, die uns in allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen extrem fordern wird. Nach meinem Dafürhalten sollten dabei mit Blick auf die künftige Energieversorgung die Aspekte Geschwindigkeit, Verlässlichkeit und volkswirtschaftliche Effizienz im Mittelpunkt stehen. Nach diesen Kriterien erscheint die Entwicklung eines H2-Netzes aus dem bestehenden Gasnetz als die beste Lösung und Basis für einen raschen Wasserstoff-Markthochlauf. Unsere Marktabfragen im Rahmen der Netzentwicklungsplanung zeigen: Die Verbrauchssektoren wollen auf Wasserstoff umstellen und Klimaschutz durch Dekarbonisierung umsetzen. Noch fehlt für den Markthochlauf die benötigte Infrastruktur. Wir Fernleitungsnetzbetreiber wären H2-ready und stehen bereit, Fortschritt zu wagen.


Bildquelle Ampel: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:GreenLightMarkham.jpg unter CC0 1.0 (bearbeitet vonThyssengas)

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